Windzeit

"Aye! Was ist denn das für ein bunter Vogel? Huii, Mädchen, paß auf und mach dich nicht schmutzig!"
Aysha warf dem Stallburschen ein schiefes Grinsen zu und drohte ihm mit der Reitgerte. Ihr Apfelschimmel tänzelte unruhig, als sie abstieg und dem Menschlein die Zügel in die Hand drückte, sich umdrehte und ging, ohne sich noch einmal umzublicken.
Sie hörte Sha'hens Hufe auf dem Kopfsteinpflaster klappern, als die Stute weggeführt wurde.


Mananaan Mac Lir drehte unruhig einen Pfeil zwischen den Händen. Er saß am Fenster seines Lieblingsraumes in seinen Gemächern. Draußen schien nach vielen Tagen Regen zum ersten Mal wieder die Sonne. Ein Tag, wie geschaffen dazu, ein Pferd zu holen, den Bogen zu spannen un din die Weite hinein zu reiten.
Ein frischer, stetiger Wind kam aus den Hügeln, die sich nordwärts erstreckten. Einige Vögel ließen sich von den Böen weit durch die Luft wirbeln und hoch empor tragen.
Und er saß hier und spähte lediglich durch die Scheibe hinaus in die Weite. Die Tür knarrte leise und Glorfindel trat ins Zimmer. "Aye, Mananaan. Auch daheim bei diesem Wetter?" Die Tür fiel ins Schloß. "Du machst dir Sorgen?"
"Wirklich keine gute Zeit, nicht wahr? Ich habe keine Ahnung, was wir tun könnten." Glorfindel setzte sich ebenfalls auf das Fensterbrett. Mananaan rückte zur Seite, um Platz zu machen.
Der Blonde lachte trocken. "Wußtest du, daß er sich in seine Räume verkrochen hat, in der Hoffnung, es fiele nicht auf? Dauernd ist er allein, er hat gar kein Interesse mehr daran, irgend etwas zu unternehmen."
"Als ich ihn heute morgen bat, mit uns auszureiten, sagte er doch nur aus Höflichkeit ja. Sonst wären wir nie schon nach zwei Stunden wieder zurückgekommen. Mir widerstrebt es, ihn so sitzen zu lassen. Aber was, Glorfindel, was soll ich denn tun?"
Nachdenklich zupfte der goldhaarige Fürst Amon Rûdhs am Kragen seines silbergrünen Gewandes. "Ich könnte heute abend eine kleine Feier veranstalten. Offen, es kann kommen, wer mag. Allzu viele werden es bei diesem Wetter nicht sein, die meisten werden auch den Abend im Freien verbringen. Beleg aber werde ich einladen - notfalls mit genügend Nachdruck, also einem sanften Hinweis auf meine Position."
"Was wahrscheinlich nicht einmal notwendig sein wird, schließlich gebietet es Höflichkeit, den Wünschen des Gastgebers zu entsprechen. Und unhöflich ist das, was Beleg Cuthalion am allerwenigsten ist, vor allem jetzt nicht. Das ist eine ausgezeichnete Idee, Glorfindel."


Der Abend kam über das Land. Weit und breit in den Fluren und Korridoren, Treppen, Sälen und Türmen hatten Boten die Einladung verkündet, einige Straßen und wenige Häser hatten die Nachricht vernommen: Kommt zum Palast! Kommt zu Glorfindels Feier heute abend!
Recht viel Volk für dieses Wetter fand sich so ein; wohl zwei Dutzend der Thlossibin hatten sich in einigen von Glorfindels Gemächern versammelt, saßen am Feuer, redeten, spielten Harfe, aßen und tranken.
Das heißt, Harfe spielte nur einer.
Dilijendhel vai'Alhamjn, einer der besten Barden Belfalas', war anwesend. Seine Harfe war es, der gut die Hälfte der Anwesenden lauschte. Auch Beleg saß in seiner Nähe, beobachtete das Feuer und die Zuhörer und hielt sich ansonsten aus den Gesprächen heraus. Glorfindel wiederum beobachtete Beleg - und unterhielt sich halblaut mit seinem Freund, abseits der Gäste der Feier stehend.
Mananaans Augen folgten Aysha, die lediglich auf Glorfindels besondere Einladung gekommen war.