Maneuverübungen

Wie ein schlecht geölter Blitz rollte die kleine Kugel, die entfernt an einen Menschen erinnerte, durch das Camp. Hätte sie nicht zwei dicke Arme und Beine und einen kahlrasierten Schädel gehabt, jeder Soldat im Lager hätte geschworen, ein wieselflinker Fleischklops sei an ihm vorbeigedonnert. Der Troßmeister des 43. Regiments war prinzipiell ein kleiner behäbiger Mann, der gerne aß und noch lieber trank und sich nur im äußersten Notfall zu einer körperlichen Aktivität hinreißen ließ. Irgend etwas von größter Bedeutung mußte sich ereignet haben, damit er sich mit einer solchen Geschwindigkeit, die bei ihm sicher niemand für möglich gehalten hatte, auf das Zelt des Kommandeurs zugallopierte. Etliche Soldaten blieben stehen und folgten mit ihren Augen, und noch einigen ironischen Kommentaren mehr, der Flugbahn des kleinen Kometen. Mit hoch rotem Kopf und völlig außer Atem stürmte der Mann an den verdutzten Wachen am Zelteingang vorbei und befand sich schon im Inneren der Kommandantur, wo Major Brandon gerade eine Lagebesprechung mit seinen Offizieren abhielt. "Was soll das heißen, die Manöver werden verlängert?" Die sonst so ruhige und sonore Stimme des Troßmeisters schien sich überschlagen zu wollen und mehrere Purzelbäume gelangen ihr auch. Vollkommen ruhig und gefaßt blickte der Major von dem Kartentisch auf. Stille machte sich im Raum breit als die Offiziere eilends versuchten durch die Wände des Zeltes nach draußen zu entweichen, was ihnen aber zu ihrem Leidwesen nicht gelingen wollte. Ihnen wäre es auf jeden Fall lieber gewesen, wenn ihr Kommandeur sofort losgebrüllt hätte, wie sie sonst von ihm gewohnt waren. Schreien, das war alltäglich. Daran hatte man sich schon vor vielen Jahren auf der Militärakademie gewöhnt. Schreien, das gehörte hier zu den täglichen Umgangsformen. SEIN Schweigen machte ihnen mehr Angst als alle Ausgeburten Slongas. Wenn er schwieg, dann war der Tag für denjenigen gelaufen, den er anschwieg.
Major Brandon musterte seinen Troßmeister. Dessen Schläfen pulsierten wie die Quellen des Tifereth, der breite Lederriemen, der den Bauch am Abfallen hinderte knarrte bedrohlich und der Blick des Mannes hielt trotzig dem des Majors stand. "Auf ein Wort Troßmeister. Ich sage euch jetzt zwei Dinge. Hört gut zu, denn ich werde meine Worte nicht wiederholen. Erstens! Unsere geliebte Großherzogin hält es für nötig, daß die Manöver fortgeführt werden; und Ihr Wille ist uns Befehl. Zweitens! Wenn ihr noch einmal so in mein Zelt hereinplatzt, dann werde ich euch höchstpersönlich bei lebendigem Leib tranchieren und als Spanferkel an die Truppen austeilen lassen! Und jetzt: RAUS!!!" Eine unheimliche Stille folgte, die Minuten zu dauern schien. Der Küchenbulle nahm aber nach einigen Sekunden des Schweigens noch einmal seinen ganzen Mut zusammen und blieb mit trotzig gesenktem Kopf und geballten Fäusten stehen. Die Offiziere hielten den Atem an. So etwas hatte sich noch keiner getraut. Das konnte unmöglich gutgehen. Dann hob der Troßmeister seinen Kopf und blickte Brandon herausfordernd an. "Ihr meint ein Spanferkel mit Apfel im Maul und so?" "Ich glaube wir werden eine beliebige andere Körperöffnung für den Apfel finden. Vor dem Kochen."
Der alte Geschwindigkeitsrekord des Troßmeisters wurde auf halben Wege von einem neueren und jüngeren Kollegen überholt, der sehr schnell zu einem verblassenden Punkt am Horizont wurde.
Eigentlich wollte der Major seinen Troßmeister nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen aber auch ihm ging dieses Manöver mittlerweile schwer auf die Nerven und außerdem beschäftigte er sich schon seit Tagen mit ganz anderen Problemen. Niemand wußte warum diese großangelegten Manöver überhaupt stattfanden. Nun ja, niemand außer der Heeresleitung und die hatte es noch nie für nötig gehalten irgend etwas zu erklären. Sicher hatten Manöver ihren Sinn, das war unbestreitbar aber fast 30 Legionen tummelten sich hier? Weitere Verstärkungen waren angekündigt worden und seit ein paar Tagen rannten hier auch noch kaiserliche Gardisten herum. Eine Invasion des autonomen Samduracks kam auf jeden Fall nicht in Frage, denn Invasionsübungen fanden nicht statt. Auch war die nötige Ausrüstung gar nicht vorhanden. Vielleicht befürchtete die Heeresleitung ja eine Invasion von Samdurack aus aber das war auch unwahrscheinlich. Die ABS verfügte immerhin über das größte stehende Heer auf Phebos. Ein Angriff war demnach reiner Selbstmord. Außerdem bestand der Norden Manetherens nur aus Sumpf. Also keine lohnende Beute für einen Krieg. "Ähem, Sir?" Brandon blickte auf. "Sir. Dürfen wir wegtreten, Sir?" Tief in seine Gedanken versunken nickte er nur kurz und bemerkte nicht, wie sich seine Offiziere gegenseitig in aller Eile aus dem Zelt herausschoben.

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"Mal sehen Jungs. Also hier haben wir unsere Zielangaben." Ein großes Fragezeichen zeichnete sich auf der Stirn des Leutnants Zelyn ka Larsha ab und es schien so real, daß man es fast anfassen konnte. Aber eben nur fast. "Was soll das heißen? 1500 "Yards" westlich von unserer derzeitigen Position? Ich weiß ja nicht einmal, wie unsere derzeitige Position überhaupt ist und was in Marduks Namen ist ein "Yard"?" Er warf einen fragenden Blick auf seine Katapultmannschaft, die mit einem fragenden Blick, begleitet von diversen Schulterzucken, antwortete. Sein unsicherer Blick fiel auf die anderen Katapultstellungen über denen auch Fragezeichen zu schweben schienen. Unsicher blickte er wieder auf seine Befehle. Solche wirren Angaben konnte es in Akkad nicht geben, da war er sich sicher. Hreson sei Dank hatte der Padischah-Theokrat in seiner Weisheit das metrische System eingeführt. Da gab es keine Unklarheiten. Verdammte Annuwyner. Und auf diesen Wirrwarr von Maßen waren sie auch noch stolz. Er war kurz vor einem Wutausbruch, als er hinter sich plötzlich das sich schnell nähernde Getrappel von Pferdehufen vernahm. Das konnte, nein mußte die Rettung sein. Tatsächlich näherte sich ein annuwyn'scher Meldereiter mit enormer Geschwindigkeit der Stellung. Mit beiden Armen wild rudernd veranlaßte er den Reiter anzuhalten was dieser wohl, seinem Gesichtsausdruck zu Folge, nicht sonderlich begeistert aufnahm. "Ich habe es sehr eilig, Sir. Ich habe nämlich wichtige Befehle bei mir, die schnellstens überbracht werden müssen. Also was wünscht ihr?" "Nur eine kleine Frage, wenn ihr erlaubt. Meine Feuerbefehle sind eindeutig, bis auf einige kleinere Mängel. Also wo zum Henker sind wir hier und was ist ein Yard?" Der Reiter grinste breit. Ausländer! "Dies ist die Anhöhe 263, glaube ich zumindest und ein Yard sind drei Foot. Gehabt euch wohl und viel Erfolg." Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte auf der Straße weiter in die Richtung seines Zieles. Wenige Augenblicke später fiel ihm ein, daß es sich um die Anhöhe 362 gehandelt hatte aber das würden die Akkader sicherlich merken, die waren ja nicht auf den Kopf gefallen und konnten sicherlich Karten lesen. Leutnant ka Larsha schien sehr erleichtert zu sein. "Also gut Jungs. Wir sind schon mal auf der richtigen Anhöhe. Das wäre dann die Hälfte der Miete. Aber was ist jetzt ein "Foot"?" Einer seiner Männer meldete sich zu Wort: "Sir, Foot ist hier das Wort für Fuß. Ein Yard ist also drei Fußlängen lang, Sir." "Ha, schlau gedacht Kerl. Auf die Idee bin ich auch schon gekommen aber wie lange ist denn so ein Fuß im Durchschnitt? He, hast Du darauf auch eine Antwort?" Ein anderer Soldat mischte sich in die Diskussion ein. "Sir, vielleicht sollte man die Distanz bis zum Ziel abschreiten. Ich meine immer einen Fuß vor den anderen setzen und dann..." "Schwätzer!", Zelyn war wirklich verärgert. Es war unglaublich, wie blöd diese Soldaten sein konnten. "Und wie lange wird das dauern? In fünf Minuten haben wir unseren Feuerbefehl. Ich habe diese ganze Diskussion satt. Wie groß wird so ein annuwyn'scher Fuß wohl sein? 25 Zentimeter? Ja, das könnte hinhauen. Das sind ... 1235 Meter. Na also. Eine schöne runde Zahl. War doch gar nicht so schwer. Sagt es den anderen Stellungen weiter und dann rann an die Zieleinstellung."

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Major Brandon kochte vor Wut, erst die Sache mit dem Troßmeister während der Lagebesprechung, dann war einfach so eine ganze akkadische Katapultbatterie abhanden gekommen und jetzt mußte er diesen kaiserlichen Offizier bewirten, diesen kleinen, arroganten spitzohrigen Gnom. "Wißt ihr Brandon. Ich habe während des Manövers festgestellt, daß die annuwyn'schen Truppen denen unseres göttlichen Padischah-Theokraten im Kampf hoffnungslos unterlegen wären. Mein Herr wird hocherfreut sein sich bestätigt zu sehen, auch wenn er es in seiner Weisheit natürlich schon immer gewußt hat." Eine winzig kleine Gewitterwolke bildete sich über Brandons Auge und es schien so, als ob ein Miniaturblitz in seine linke Augenbraue einschlagen würde. "Ach, mein lieber Brandon. Die akkadischen Truppen zeichnen sich durch ihre Disziplin, ihren bedingungslosen Gehorsam und ihre hervorragende Ausrüstung aus. Apropos Ausrüstung. Unsere Katapultsteine werden extra für dieses Manöver rot angemalt, damit alle Welt sehen kann wie genau akkadische Onager treffen. Eigentlich hätten wir das ja nicht nötig ... Habe ich übrigens schon erwähnt, daß die neuen Rüstungen unserer Kavallerie ..." Dieser verflixte Gnom konnte einen totreden.

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"... Drei, zwei, eins, FEUER FREI!" 50 feuerrote Steine wurden nacheinander in den Himmel geschleudert und machte sich auf eine lange, fröhliche Reise mit unbekanntem Ziel.

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"... die akkadische Schlachtbarke ist eurem komischen Dreadnought bei weitem überlegen. Alleine die hervorragende Aquadynamik der akkadischen Schiffe ..." Der akkadische Offizier stockte und lauschte. Draußen ertönte erst ein lauter werdendes Sirren, gefolgt von einem dumpfen PLOP und einer kleinen Erschütterung. Dieser seltsame Vorgang wiederholte sich mehrmals und schien dabei irgendwie näher zu kommen. Vor dem Zelt ertönte aufgeregtes Geschrei und Pferde wieherten ängstlich. Major Brandon stürmte wütend aus seinem Zelt. Nun, er war noch nicht ganz wütend. Bot ihm doch diese Aufregung eine willkommene Möglichkeit dem Geschwätz seines Kollegen zu entgehen. Doch er hatte sich zu früh gefreut. Der Akkader war ihm auf dem Fuße gefolgt. So konnten beide beobachten, wie eine wunderschöne leuchtend rote Kugel aus Stein hinter ihnen in das Zelt Brandons einschlug und die ganze Kommandantur in einen Haufen aus Sperrholz und Leinen verwandelte. Schweigend und mit einem breiten Lächeln drehte sich Brandon um und blickte den akkadischen Major an. "Wißt ihr, geehrter Freund, was man in der annuwyn'schen Armee mit Äpfeln so alles anstellen kann? Nein? Ich werde es euch gerne zeigen!"



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