Entwicklungen und Verwicklungen
Graf Fflewddur Airgeadlamh gab seinem
ältesten Sohn Ailric einen Stoß, mit dem er anderen Leuten das
Genick gebrochen hätte und brüllte: "Steh auf du Langschläfer!
Es ist schon fast Nachmittag.". Ailric fuhr hellwach von seinem notdürftig
zusammengebastelten Feldbett auf. Es war stockdunkel in dem Armeezelt und
die Luft eiskalt. Nicht ungewöhnlich in der Wüste Maghada aber nur
gegen Mitternacht. Genau wie jetzt. Wütend suchte Ailric, der na-Graf,
seine Rüstung zusammen. "Verdammter alter Mann!", dachte er, als er seinen
Armeemantel über die Schultern warf. Er mochte auch die wüstenhafte
Gegend so tief im Süden des Reiches nicht, in der sie sich gerade befanden
aber immerhin machte die nun "befriedete" Provinz seinen Vater zum Fürsten
und er war der designierte Nachfolger. In seinem Kopf verdämmerte der
Rest eines Traumes, der irgend etwas mit Nasenbären zu tun hatte und
langsam erinnerte er sich wieder, daß er heute mit seinem Vater nach
Shamansharija reisen sollte um sich von der na-Shana und dem Regentschaftsrat
den Titel eines Ui-Fhaolain, also eines Fürsten, bestätigen zu lassen.
Ailric pfiff vergnügt vor sich hin. Dies war ein Grund um sich auf
die anstrengende Reise zu freuen.
Sie marschierten schweigend durch das Feldlager. Eine ganze Legion seines
Vaters war hier versammelt um den Ruhm und die Macht der Familie Airgeadlamh
zu mehren. Als sie an den Ställen oder den wackligen Gebäuden, die
man irrsinnigerweise so benannt hatte vorbei kamen, warteten dort schon 100
berittene Krieger seines Vaters, die sie auf der Reise eskortieren sollten,
und zwei prächtige Pferde auf ihn und seinen alten Herrn. Der Mond erzeugte
das nötige Licht um zumindest die nächste Umgebung zu erkennen.
Nun ja. Erkennen wäre zuviel gesagt, da außer Unmengen von Sand
sowieso nichts zu sehen war. Da stand auf einmal Prydery vor ihm. Prydery
war trotz der frühen Tageszeit mal wieder perfekt frisiert und geschminkt.
(Solche Leute gibt es eben immer irgendwo.) Irgendwann würde Ailric im
Regentschaftsrat durchsetzen, daß auch gleichgeschlechtliche Ehen gestattet
würden. Prydery reichte ihm einen Weidenkorb hinauf. "Was ist drin?",
fragte der junge Graf mundfaul. "Brot, Keese unt ein paar Äffel. Unt
natürlich ein Shal tamit tu tich nicht erkältest.". "Was kann man
sich mehr wünschen?", dachte Ailric und bemerkte den äußerst
wütenden Blick seines Vaters und das verstohlene Grinsen der Krieger.
* * *
"Warum sind diese Ratshallen immer so kalt?", fragte sich Nera Rudraige
und versuchte sich fröstelnd an dem purpurnen Mantel, den sie als Zeichen
ihrer herzoglichen Würde trug, zu wärmen. Wieder blickte sie in
die wütenden Gesichter der Grafen und Fürsten. Das hatten sie nun
wirklich nicht erwartet. Der einzige, dessen Gefühlsregung nicht auszumachen
war, war der Lordkanzler aber irgendwie erwartete auch niemand so etwas von
ihm. "Das könnt Ihr nicht tun! Es widerspricht jeder Vernunft!" Esaidh
Ruadh, die Fürstin von Hobmeill, war nahe daran die Beherrschung zu verlieren.
"Ich bitte Euch meine Herzogin, sagt mir warum?"
Nera erhob sich. Sie war sich nicht mehr ganz sicher, ob sie nun wegen
der kalten Gemäuer, der aufgebrachten Adelsfamilien wegen oder einfach
nur der Anwesenheit des unheimlichen Lordkanzlers so fror. Doch dann fasste
sie sich und sprach wütend zur Menge: "Welchen Grund habt ihr euch zu
beklagen? Ich verstehe euch nicht. Es ist absolut vernünftig, den Wald
des Tuime dem Lehen des Lordkanzlers hinzuzufügen. Wer von euch hat
denn noch Erfahrung in thaumaturgischen Angelegenheiten?". Nun meldete sich
der Graf von Eirne, Durnwyn Cairthide, zu Wort. "Meine Herrin! Niemand bestreitet
die magischen Fähigkeiten des Lordkanzlers. Darum geht es hier aber nicht!
Nicht nur, daß Großfürst Dragan eine Straße durch
den Wald des Tuime hat bauen lassen; er hat auch nie bestritten unter Slonga
als Heerführer gedient zu haben. Wenn er den Wald des Tuime betritt,
so ist uns der Zorn des Götterboten sicher!". Die Adligen begannen heftig
untereinander zu diskutieren aber Stille kehrte wieder ein als die Shana zu
reden begann. "Dem geschätzten Lordkanzler und Großfürsten
von Dyved, dem ehrenwerten Uzûl Dragan werden hiermit die Lehen Lughnasadh,
Tuimeill und Batok zugesprochen. Dies ist mein unumstößlicher Wille.".
Die Adligen kochten vor Wut, erhielt der von ihnen allen gefürchtete
Lordkanzler den Schlüssel zum Götterboten aber es blieb ihnen nichts
anderes übrig als sich dem Willen ihrer Herzogin zu fügen. Hatte
Nera einmal einen Entschluß gefaßt, so ließ sie sich durch
nichts und niemanden davon abbringen. Sie war eben eine typische Tuirill.
* * *
Endlich, nachdem man den Weg durch etliche Provinzen zurückgelegt
und mehrere Räuberbanden einfach ignoriert und über den Haufen
geritten hatte, erreichte die Reisegesellschaft der Airgeadlamhs Mathonwys,
die gigantische Verteidigungsanlage im Süden des Reiches, um dort auf
Graf Cuan Dac Tairil zu treffen, der auch in Shamansharija die Würde
eines Fürsten erhalten sollte. Der oberste Feldherr war so freundlich
die beiden Besucher durch die altehrwürdige Militärakademie Uillean
zu führen. Tairil und die Airgeadlamhs betraten einen Hörsaal in
dem gerade Lord Dhun Gharsain, der Kanzler der Akademie, über sein Lieblingsthema
referierte: Gestaffelte Infanterietaktik der Solonen unter besonderer Berücksichtigung
einer nicht vorhandenen Flankenkavallerie im Jahre 3 v.B.v.S. in der Schlacht
gegen Koru al-Gandas (Die übrigens die Solonen verloren).
Wie sich das für jede gute Hochschule gehört, befanden sich etwa
die Hälfte der Kadetten in einer gesunden Tiefschlafphase, etwa die andere
Hälfte bastelte an einer neuen Generation von Pergamentfliegern und
der Rest hörte dem Dozenten mit einem sehr interessierten Gesicht und
lächelnd zu. (Der Autor verkneift sich hier jeglichen Kommentar. Dies
aber mit größter Kraftanstrengung) Tharro Darnag, ein Kadett aus
Manetheren, der übrigens zur ersten Gruppe gehörte, hatte leider
das Pech, einen Deut zu laut zu schnarchen.
"Darnag,", brüllte der Lordkanzler, "wovon träumen sie gerade?".
Erschrocken sprang der junge Mann auf und stammelte: "Sir! Ich träumte
davon, alleine in Arelon einzumarschieren! Und sie, Sir?". Der Rest ging im
Gebrüll der anderen Kadetten unter...
Kurz darauf, draußen auf dem Campus, rangen die drei Grafen immernoch
sichtlich um Luft. Das feine Grinsen in ihren Mundwinkeln sollte noch den
ganzen Tag anhalten. Da man nun endlich die große Heerstraße erreicht
hatte, die einmal Gemred mit Manetheren im Osten verbinden sollte, ging die
Reise jetzt erheblich schneller voran und bald erreichte man Dyved, den Sitz
des Lordkanzlers und die heimliche Hauptstadt Gemreds.
* * *
Nera fror immer noch. Diesmal lag es ganz einfach daran, daß im Arbeitszimmer
des Lordkanzlers kein Feuer brannte. Sie sah sich um, wie ein verschüchtertes
Schulkind. Vor ihr saß der Lordkanzler in einem mächtigen, thronähnlichen
Sessel aus schwarzem Stahl, der mit vielen seltsamen Gestalten verziert war,
denen sie nie im Leben begegnen wollte. Zu seinen Füßen lag Balrog,
ein Untier, das entfernt an einen Hund erinnerte. "Ich weiß nicht, was
ihr wollt?" sagte sie leise zu Dragan. "Ihr wißt genau, wovon ich rede",
antwortete dieser mit seiner furchteinflößenden Stimme. Das Glühen
in seinen Augen nahm von Augenblick zu Augenblick zu. Ein untrügliches
Zeichen dafür, daß der Großmeister des Derronohrordens langsam
aber sicher die Beherrschung verlor. "Verliebt! So ein Schwachsinn. Gilgamash
wird das als Angriff auf die vitalen Interessen Akkads sehen. Nera, ihr könnt
den Schir-Parth nicht heiraten. Zumindest nicht, ohne daß es zu einem
Krieg mit Akkad oder einem sich bedroht fühlenden Kleinreich kommt."
"Ich habe so gehandelt, wie es mir richtig erschien! Ich bin die Shana von
Gemred!,", erwiderte Nera nun aufgebracht, "Oder wollt ihr das bestreiten?
Und seit wann muß ich mich vor euch rechtfertigen? Ihr wolltet doch
immer, daß ich heirate.". "Wie dem auch sei, niemand darf vorerst etwas
davon erfahren. Und ich glaube mit Akkad wird man sich irgendwie einigen
können. Ach ja. Auf meine persönliche Unterstützung werdet
ihr nun für einige Zeit verzichten müssen." "Wieso das?", Neras
Gesicht nahm besorgte Züge an. "Meine Anwesenheit ist in der Provinz
Tuimeill vonnöten. Meine Leute haben dort ein seltsames Gebäude
entdeckt, das ich erforschen möchte."
Nera war enttäuscht. Irgendwie hatte sie sich mehr von diesem Gespräch
erhofft aber das war typisch für den Lordkanzler: Er hielt seine Ideen
und Gedanken immer bis zum letzten Augenblick geheim um alle anderen vor vollendete
Tatsachen stellen zu können. Nun, ihr sollte dies nicht passieren.
* * *
Bevor die Gruppe der Grafen in Dyved einziehen konnte, kam sie am östlichen
Galgenhügel vorbei. Es hing aber nur einer oben und Graf Tairil fragte
eine alte Frau, die in der Nähe Gänse hütete warum der arme
Kerl am Strick baumelte. "Das war ein ganz Schlimmer", sagte die Alte. "Hat
in seinem Laden das furchtbarste Zeug verkauft. Ich glaube er hieß Feinkost
Zipp." Dyved war nicht nur das religiöse Zentrum des Shan, sondern auch
das Politische was viele Leute nicht wahrhaben wollten. Vor allem die Anhänger
der Familie Tuirill. Daß Dyved auch ein Zentrum für chaotische
Zustände war, davon konnte Ailric sich überzeugen, als Richard
of Maltwork, der Mundschenk des ABS-Rates, wild gestikulierend und die Augen
rollend durch die engen Gassen rannte und immer wieder aus vollem Hals schrie:
"Noch'n lecker Pilsken? Noch'n lecker Pilsken?" Dies ging so lange, bis ihn
einer der genervten Passanten mit einem gezielten Keulenschlag niederstreckte.
"Wir sollten an dem neuen Tempel vorbereiten", sagte Fflewddur. Der neue
Tempelplatz lag gleich hinter dem Gildenhaus der Kaffeekocher in einem toten
Winkel. Dort erhob sich auch der neue Tempel Hresons. Breit und hoch ragte
er über die kleinen, sich duckenden Häuser, in denen die Priester,
Mönche sowie die Inquisitoren und die Totengräber wohnten. Die
vier Glockentürme waren noch nicht einmal zu einem drittel fertig. Ein
Bauzaun, den eine Schulklasse bemalt hatte und auf dem einige überdimensionale
Werbeplakate der Tagatha Interkontinental Bank prangten umgab das Areal.
Dahinter hatten die Bauarbeiter ihre armseligen Wohnhütten und schlechtbezahlten
Arbeitsplätze. Etliche Handwerker waren sogar am Arbeiten. Ein eher
atypisches Verhalten, was nur durch die Anwesenheit einiger Inquisitoren
erklärt werden konnte. Einer der Steinmetze hatte einen langen, schmalen
Marmorblock vor sich liegen. Oben war es eigentlich kein Block mehr. Dort
sah man den Kopf einer hübschen, jungen Frau. Ailric sah mit großen
Augen, wie der Steinmetz Schlägel und Meißel führte und behutsam
den Kleidersaum am Hals heraushub. Ailric konnte sich nicht mehr halten,
hatte er doch nur gelernt, wie man mit einem Schwert einen Kopf abtrennt.
Er fragte durch die Zaunlatten hindurch: "Du da, was gibt denn das, wenn's
fertig ist?". Der Steinmetz ließ den Schlägel sinken und blinzelte
den Frager an, als ob er sich nicht sicher war, was er gefragt wurde. Dann
antwortete er wichtigtuerisch: "Wird kluges Jungfrau an die Tor." Er hob
beide Hände und spreizte sie. "Sechs kluge Jungfrauen, sechs törichte
Jungfrauen. Törichte fertig. Jetzt kluge." " Das ist einer aus Akkad.
Man merkt's am Akzent", sagte Graf Tairil.
* * *
"Der Großfürst empfängt sie jetzt." Ein Diener Dragans
führte die Gruppe der Grafen in das Audienzzimmer des Lordkanzlers.
Dort saßen, Uzûl Dragan, der Großfürst von Dyved,
Craigarad Keysa, der Repräsentant der ABS, Fürst Shugarra, der
Botschafter Akkads und Tulion Beorn, der Botschafter Manetherens die, als
die Reisenden eintraten, einige formell aussehenden Papiere und diverse Alkoholika
unter dem Schreibtisch verschwinden ließen. Tairil und die beiden Airgeadlamhs
knieten vor dem Lordkanzler nieder und küßten seine rechte, behandschuhte
Hand. Als sie sich wieder erhoben blickte sie der Großfürst ernst
an. "Meine Freunde. Ich glaube ihr seid zu spät." Verwirrt sahen ihn
die Grafen an. "Die Operation >Unterwanderung< ist schon verabschiedet.
Hier, nehmt und lest." Mit diesen Worten reichte er ihnen einige Papiere,
die sie nervös durchlasen. Nachdem sie fertiggelesen hatten schienen
sie noch nervöser als zuvor. Graf Dac Tairil überwand das allgemeine
Schweigen als erster: "Ohne unsere Unterstützung?" "Mein Sekretär
wird euch die Einzelheiten mitteilen." Die Besucher hatten die Aufforderung
den Saal zu verlassen verstanden und machten sich daran, einem älteren,
kahlköpfigen Sekretär in ein anliegendes Zimmer zu folgen. Fürst
Shugarra richtete einen fragenden Blick auf den Lordkanzler, den dieser mit
einem leichten Lächeln erwiderte. "Es sind zwar meine treuesten Anhänger
aber über unsere künftigen Pläne sollten sie nicht unbedingt
bescheid wissen."
Die Tür öffnete sich wieder und ein anderer Sekretär führte
einen uralten, weißbärtigen Mann herein, der sich auf einen Stock
stützte. Seine Kleidung machte ihn zwar als Baron des Shan kenntlich,
doch an der rechten Hand trug er einen psianischen Ring der Freundschaft.
Es war Math Coirpre, der erste Vorsitzende der Versammlung von Tagatha. "Verflixt,
Dragan, warum macht ihr dem senilen Kerl an meiner Seite nicht klar, daß
ich mich hier bestens auskenne und keinen tatterigen, alten Führer brauche,
der mir nur im Weg steht!" Der Lordkanzler gab dem Sekretär, der vielleicht
halb so alt wie der Baron war ein Zeichen, daß er sich zurückziehen
könne. "Mein hochgeschätzter Baron. Darf ich euch den Rat der ABS
vorstellen? Zuerst Craigarad Keysa, der momentane Repräsentant." Der
alte Mann musterte den Repräsentanten, daß diesem ansonsten so
besonnenen und ruhigen Mann der Angstschweiß ausbrach. "Keysa, sagt
ihr? Guter alter gemredder Adel. Ich erinnere mich da an einen Keysa in der
Schlacht von..." "Und hier Fürst Shugarra, aus der Theokratie Akkad.",
unterbrach ihn Dragan, der wohl befürchtete die halbe Lebensgeschichte
Coirpres und die genealogischen Feinheiten der Familie Keysa zu hören
zu bekommen. "Demokratie Akkad?", fragte der Greis und schien nicht zu bemerken,
daß dem akkadischen Botschafter die Zornesadern schwollen. "Theokratie
Akkad", meldete sich nun Tulion Beorn zu Wort. "Darf ich mich vorstellen?
Tulion Beorn, der Abgesandte Manetherens." "So, so. Meine Herren; ich nehme
an, es handelt sich um eine Hochzeit?" Alle, bis auf den Lordkanzler, waren
überrascht von dieser plötzlichen Wandlung. Dachten sie noch eben,
sie hätten einen senilen alten Mann vor sich, so sahen sie sich nun mit
einem hellwachen und scharfen Intellekt konfrontiert. Und niemand außer
dem ABS-Rat und natürlich dem künftigen Ehepaar konnte von der bevorsehenden
Heirat wissen. Nervös lächelnd antwortete Craigarad Keysa: "Nun,
tatsächlich habt ihr recht aber es handelt sich auch um einen Kaiser...".
* * *
Von Dyved aus war es durch die exzellente Straßenverbindung nur ein
Katzensprung nach Lughnasadh. Es war eine illustre Reisegesellschaft, die
sich da auf der großen Heerstraße gen Westen bewegte, die sich
in etwa wie folgt beschreiben läßt: Vorneweg ritt eine sehr mit
sich zufriedene Fürstin Gheann, umringt von etlichen berittenen Leibwächtern.
Ein kleines Stück des Wald des Götterboten war auf ihrem Lehen gelegen
und somit war sie berechtigt, die Expedition zu begleiten. Sehr zur Freude
der Adelspartei. In der Mitte des Zuges befanden sich die Airgeadlamhs, zufrieden
mit dem was sie erreicht hatten, nämlich dem Fürstenpatent und
die Gheann argwöhnig beobachtend. Man konnte ja nie wissen ... und am
Ende der Kolonne, etwas abgeschlagen, der Lordkanzler flankiert von zwei Zauberern,
gefolgt von einigen wenigen Derronohrmönchen, seinen Elitekriegern die
mit ihm damals vor Slonga geflohen waren.
Die Derronohr sind wohl einer kurzen Beschreibung wert, denn sie waren
und sind die besten Krieger des Shan. Niemand, der ihnen jemals im Kampf
begegnete konnte von ihren Kriegskünsten berichten, denn er überlebte
ein Zusammentreffen nicht. Derronohr machten niemals Gefangene.
Bald war der Markt im Westen, in der Nähe des Waldes, erreicht. Von
dort sollte die Expedition in wenigen Tagen starten.
Der Herrschersaal des herzoglichen Palastes war ein exzellentes Beispiel
für die Verschwendungssucht von Nera Rudraiges Urgroßvater Giedi
Tuirill. Der Vorsitzende der VvT erinnerte sich dunkel aber mit einem dezenten
Lächeln daran, wie Giedi Tuirill mit Uzul Dragan und dem alten Dac Tairil
zusammen, im Jahre drei nach Slonga, die Schlacht gegen Slogh Thar gewonnen
hatte und nachher in seinem Größenwahn geglaubt hatte, sich Dyved
und Mathonwys nehmen zu können. Er fühlte eine tiefe, innere Befriedigung,
als er daran dachte, wie er damals gesehen hatte, wie die Allianz der Grafen
das Chaos, das seine Eltern abgeschlachtet hatte, niedermetzelte.
Nun, die Halle war alles in allem doch recht imposant. Das mußte
der alte Mann zugeben. Ein 18 Meter hohes und 60 Meter langes Gewölbe,
das von so filigranen Säulen getragen wurde, daß man sich kaum
getraute die Halle zu betreten ganz einfach aus dem Grund, da man Angst
haben mußte, daß die Decke mit ihrem Gewicht die Säulen
wie Streichhölzer umknicken würden. "Kein Wunder!", dachte Math
Coirpre. "Kein Wunder, daß er damals die Schlacht nicht überlebte.
Ich hätte von diesem Geld lieber Truppen angeworben.". In der Halle
selbst befand sich so ziemlich der gesamte Hochadel des Reiches. Die bevorstehende
Regierungserklärung mußte von größter Wichtigkeit sein.
Das war auch dem Letzten klar.
Turgay Dogan betrat nun das Podest auf dem der Thron aus massivem Silber
stand und rief mit weithin gebietender Stimme: "Im Namen der Shana von Gemred,
Nera Rudraige aus dem Hause Tuirill, die hohen und majestätischen Gebieterin,
unvergleichlich erhaben und schön, prächtig in Titeln, der unerschütterlichen
Grundlage des Herzogtums, ausgezeichnet, edel und großmütig, der
Rose von Gemred und mächtigsten Shana von Phebos verlesen wir, Turgay
Dogan, der Herold des Shan Gemred, folgendes Pergament:
"Hochwohlgeborene Adlige! Wir, die Shana von Gemred erlassen hiermit offiziell,
daß der Regentschaftsrat, der uns bis zu unserer Volljährigkeit
so trefflich beraten hat mit sofortiger Wirkung aufgelöst wird." Ein
Raunen ging durch die Menge doch verstummte es gleich wieder als der Herold
weitersprach. "Wir verfügen desweiteren, daß in Zukunft eroberte
Provinzen nicht mehr durch gemredder Adlige verwaltet werden, sondern von
uns als vertrauenswürdig angesehenen Lokalfürsten, die somit nach
einer Angliederung ihrer Territorien an das Herzogtum ihre Macht in vollem
Umfang behalten. Wir verkünden hiermit, daß noch am heutigen Tage
diese Proklamation in Kraft tritt." Ein wütender Zwischenruf aus der
Adelspartei unterbrach den Vortrag: "Wo ist die Herzogin? Wieso wird dieses
Pergament nicht von ihr verlesen? Wozu das alles?". Mit einem ironischen Lächeln
antwortete Dogan: "Die Shana muß sich vor euch nicht rechtfertigen.
Außerdem hat mich unsere hohe Herzogin beauftragt, den oberen Adelshäusern
mitzuteilen, daß eine Verlobung mit dem Schir-Parth von Manetheren stattgefunden
hat. Der voraussichtliche Hochzeitstermin ist für den Mond des Anfangs
im Jahre 112 nach Befreiung von Slonga angesetzt. Bis dahin sollte alles
vertragliche geregelt sein.". Mit plötzlichem Lachen und "Hoch lebe
die Herzogin"-Rufen löste sich die Versammlung nicht nur in Wohlgefallen
auf, wobei die Torkral, die Leibgarde der Shana, auf Befehl des Herolds nicht
ganz untätig war. Ansonsten hätten die Adligen den Palast gestürmt
und im Streit darüber, wer als erster gratulieren darf alles verwüstet.
"Der Lordkanzler muß wieder her!" Darin waren sich Cuan Dac Tairil
und Math Coirpre einig. Hier lief einiges aus dem Ruder und das konnte böse
Konsequenzen, vor allem in Bezug auf die Union, zur Folge haben.
* * *
Wütend schlug Ailric Airgeadlamh nach einem Ast. Dieser verfluchte
Wald war undurchdringlicher als die Festungsanlage von Psinor und er mußte
den Weg für die Expeditionsgruppe durch das Unterholz bahnen. Hinter
ihm liefen der Lordkanzler und zwei seiner Zauberer. "Warum brennen die nicht
einfach mit magischen Feuerbällen einen Weg durch das Gestrüpp",
war eine Frage, die er sich noch oft an diesem Tag stellen sollte.Auch Uzul
Dragan war alles andere als glücklich. Hinter ihm wurde die Fürstin
Fail Gheann von vier muskulösen Leibwächtern mit nacktem, schwitzendem
Oberkörper in einer Sänfte getragen und quengelte ständig etwas
von abgebrochenen Fingernägeln...
Je näher die Gruppe an das Zentrum des Waldes herankam, desto undurchdringlicher
wurde er. Nach etwa einer Stunde war der Weg zu Ende, kein Durchkommen mehr
möglich. Das Dickicht schien härter als der härteste Stein.
"Was nun?", fragte der alte Airgeadlamh. "Irgendwo muß es einen Durchschlupf
geben.", antwortete ihm der Lordkanzler. "Es ist wahrscheinlich das Beste,
wenn wir uns trennen. Ihr, euer Sohn und die Fürstin gehen nach Westen,
meine Magiere und ich nach Osten. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier."
Die Airgeadlamhs nickten und machten sich mit der nervtötenden Vertreterin
der Adelspartei auf den Weg. Morn Rhrad, einer der Zauberer, blickte seinen
Meister irritiert an. "Und wenn sie den Durchgang vor uns finden und uns
nicht verständigen?" Dragan lachte nur kurz auf und machte sich auf
den Weg in Richtung Osten. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie eine
Art Torbogen aus zwei ineinander verästelten Bäumen, doch der Lordkanzler
ging unbeirrt weiter. Morn sah noch etliche solcher Torbogen kommen und gehen,
ohne einen davon zu passieren. Auch fiel ihm auf, daß nirgendwo ein
Tier zu sehen, geschweige denn zu hören war; noch nicht einmal ein Insekt
und jeder Schritt schien ihm lauter als ein Donnerschlag.
Endlich, nach 20 Minuten, die den Zauberern wie 20 Stunden vorkamen, durchschritten
sie ein solches, seltsames Tor. "Meint ihr denn, ich hätte den Wald noch
nicht insgeheim erkundet? Es ist ein einziger Irrgarten und ich habe die
Gheann in die falsche Richtung geschickt. Sie wird uns wohl kaum in die Quere
kommen und auf dem Rückweg werden wir sie einsammeln. Flewddur Airgeadlamh
weiß bescheid. Er wird uns diese grahoona lange genug vom Hals halten."
Manchmal bemerkte man die Chaosvergangenheit des Lordkanzlers daran, daß
er Leute, die er verabscheute, auf orkisch beschimpfte. Die Magiere folgten
ihrem Herrn und nach einer guten halben Stunde standen sie in der Mitte des
Irrgartens vor einem seltsamen quadratischen Gebäude, das unter einer
uralten Eiche erbaut worden war, auf der ungezählte Raben saßen
und die Neuankömmlinge mit lautem Krächzen und neugierigen Blicken
willkommen hießen. "Und nun! Laßt uns das Gebäude untersuchen!
Ich bin wirklich gespannt, welches Geheimnis es birgt."